Bei dieser Wahl steht eine neue Partei auf meinem persönlichen Wahlzettel: die Piraten. Sie scheinen die einzige Opposition gegen den Überwachungs- und Bevormundungsstaat zu sein, der sich seit den Anschlägen vom 11. September entwickelt.

Auf den ersten Blick eine gute Wahl. Genügend Frust nach all den ergebnislosen Protesten gegen Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren hat sich angesammelt, um einen chancenlosen Außenseiter zu wählen.

Aus dem zweiten Blick folgt eine andere Entscheidung.

Die Piraten haben ein sehr technokratisches Politikverständnis. Sie begreifen sich als Experten. Technisches Detailwissen entscheidet darüber, ob sie jemanden als Gesprächspartner ernst nehmen oder nicht.

Wer keine Ahnung hat, soll sich beraten lassen. Entscheidet sich der Beratene dann anders als gewünscht, kann dass nur an seinen bösen Absichten oder seiner Unfähigkeit liegen.

Fachkompetenz kann nie schaden. Doch der Glaube, nur ein „Experte“ könne richtige Entscheidungen treffen, hat eine Kehrseite: Zu anderen als ihren Themen haben die Internetexperten keine Meinung.

Deshalb kursiert unter Piraten die Idee, sich in Parlamenten der Fraktion einer anderen Partei anzuschließen. Einer Fraktion, die bei den Piratenthemen in ihrem Sinne abstimmt. In anderen Politikfeldern würden die Piraten dann wie diese Partei stimmen, also deren „Experten“ folgen.

Wenn es aber so ist, dass nur Experten richtige Entscheidungen treffen können, warum machen wir uns dann den ganzen Aufwand mit Wahlen und Abstimmungen? Warum nicht einfach Expertengremien regieren lassen!?

Dafür gibt es einen Grund:

Politische Entscheidungen fallen eben nicht nur auf Grundlage von vermeintlich objektiven Fakten. Politische Entscheidungen sind Wertentscheidungen.

Zum Beispiel Gesundheit: Die Entscheidung, jedem Menschen medizinische Versorgung zukommen zu lassen oder nicht, kann ich nicht auf Grund von Fakten allein treffen. Es ist eine Wertentscheidung. Bin ich der Ansicht, dass jeder für sich selbst sorgen muss, werde ich eine Krankenversicherung für alle ablehnen. Mit den Konsequenzen für Menschen mit sehr wenig Geld. Bin ich der Meinung, dass medizinische Versorgung ein Grundrecht eines jeden Menschen ist, muss ich für die Finanzierung des Gesundheitssystems mit Zwangsabgaben sorgen. Scheinbar objektive Argumente lassen sich für jede dieser Alternativen finden.

Der einzige Wert der Piratenpartei ist Freiheit. Sie wird absolut gesetzt, ähnlich wie in sozialistischen Ideologien die Gleichheit. Jede andere Orientierung scheint der Piratenpartei zu fehlen. Deshalb ist jede Meinung und jedes Weltbild gleich viel wert.

Und so akzeptiert man dann auch rechte Thesen. Ein Bodo Thiesen darf deutsche Kriegsschuld leugnen und über Gaskammern philosophieren. „Nicht Meinung der Partei, sondern nur seine Privatmeinung“, ist die Reaktion. Er behält alle Parteiämter. Ergänzung (16.9.09): Gegen Thiesen läuft ein Ausschlussverfahren. (Hinweis von Paul in den Kommentaren)

Wie naiv Piraten mit Rechten umgehen, zeigt ein Blogeintrag von Andreas Popp, Stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland. Er hatte der schwarzbraunen Postille „Junge Freiheit“ ein Interview gegeben. Als Kritik in den Blogs und bei Twitter hochkam, rechtfertigte er sich, musste aber zugeben, dass er das Interview autorisiert hatte, obwohl er sich vorher bei Wikipedia über die Zeitung informiert hatte.

Einen schönen Einblick in das Denken der Piratenanhänger bietet auch die Diskussion im Heise-Forum zum Rückzug von Hubertus Grass, Bundestagskandidat der Grünen, von Abgeordnetenwatch. Grass wollte nicht zusammen mit dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt auf einer Plattform erscheinen. Mehrheitsmeinung der Piratenanhänger dort: Die private betriebene Plattform Abgeordnetenwatch müsse Voigt eine Plattform bieten, alles andere sei undemokratisch. Freiheit über alles eben.

So eine Wurschtigkeit will ich im Bundestag dann doch nicht sehen.