Jahr: 2008

Nachwahlgedanken

So groß war der Sieg gar nicht, das Ergebnis ist durch das Mehrheitswahlrecht verzerrt. Obama hat 52 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen. Ohne die Finanzkrise hätte er vielleicht nicht gewonnen.

Die Obamaverehrer in Deutschland werden sich enttäuscht abwenden. Denn bald wird Obama sich – selbstverständlich – für amerikanische Interessen einsetzen. Und das heißt, er wird mehr Einsatz der Europäer in Afghanistan und im Irak fordern. Dann wird der Antiamerikanismus zurückkommen.

Wer in den USA wählen will, hat vergleichsweise viele Hürden zu nehmen: Ein Wähler muss anstehen und sich registrieren lassen. Er muss korrekte Dokumente vorlegen, sonst gibt es keinen Eintrag in die Wahllisten. Dann wieder anstehen, ein, zwei oder noch mehr Stunden. Und dann vielleicht feststellen, dass er doch nicht in der Wählerliste steht. Noch einmal Anträge ausfüllen, um endlich wählen zu können. Wie hoch wäre wohl die Wahlbeteiligung in Deutschland unter solchen Umständen?

Und: Welchem Präsidenten sollen die Deutschen denn jetzt für alles Schlechte in der Welt verantwortlich machen?

Historisches Erwachen

Mein Radiowecker schaltete sich ein und der Deutschlandfunk übertrug live die Siegesrede des neuen amerikanischen Präsidenten.

Well done!

Reden

Jetzt ein völlig anderes Thema:

Arno Schmidt ist ohne Zweifel der größte Humorist deutscher Sprache.

Einige wenige Mitglieder des Literaturkreises Hamburg haben das erkannt und wollen die feine Sprache des Meisters nicht mehr nur allein genießen.

Deshalb treffen wir uns am 21. Oktober um 19:30 Uhr bei mir und reden über die „Gelehrtenrepublik“.

Wir suchen noch Mitleser und Diskutanten. Wer will, melde sich hier in den Kommentaren, per E-Mail bei mir oder im Kontaktformular des Literaturkreises Hamburg.

Schwarz-brauner Komplex

Das passt zu meiner durch den RAF-Film wiederentdeckten Abneigung gegen Deutschland:

In der Monatszeitung für Russlanddeutsche [gemeint ist das „Ost-West-Panorama“] schreiben der NPD-Vorsitzende Udo Voigt, NPD-Generalsekretär Peter Marx – und zahlreiche Christdemokraten und Christsoziale.

(Rechte ködern Russlanddeutsche, Frankfurter Rundschau vom 14. Oktober 2008)

Da ist sie immer noch, diese schwarz-braune Soße.

Das sind dieselben Leute, die – wieder zusammen mit der Springerpresse – gegen Andrea Ypsilanti agitieren, weil sie sich von der Linkspartei tolerieren lassen will.

Wer hat eigentlich etwas aus dem Terror gelernt?

Baader-Meinhof-Komplex

Baader-Meinhof-Komplex gesehen. Kein guter Film. Die komplette Vorgeschichte der Figuren, ja der ganzen BRD-Gesellschaft, fehlt völlig. Dem Film nach wird Meinhof zur Terroristin, weil ihr Mann fremdgeht. So ähnlich hätte es auch der Macho Baader sehen können.

Der Film ist ein Spiegel. Meine ersten politischen Erfahrungen sammelte ich in den Achtzigern, der Zeit der „geistig-moralischen“ Wende des Helmut Kohl. Vom RAF-Terror erinnere ich mich an die Fahndungsplakate, die überall hingen. Und an die Polizeikontrollen an den Landstraßen.

Deutschland war für mich vor allem das Land, das sechs Millionen Juden umgebracht und Europa mit zwei Weltkriegen überzogen hatte. Und diese Geschichte immer noch leugnete. Es gab Menschen, die sich für die Geschehnisse während der Nazizeit in unserem Dorf interessierten. Sie bekamen Morddrohungen und wurden als Juden beschimpft. Dieses Land war immer noch furchtbar und fruchtbar für den Nazismus. Und dann Politiker wie Strauß: „Freiheit statt Sozialismus“ plakatieren, aber selbst kritische Journalisten als Landesverräter festnehmen und Menschen, die gegen die eigenen Atom(waffen)pläne protestieren, niederknüppeln lassen.

Die RAF hasste dieses Land. Dieses Land hasste die RAF. Ich mochte dieses Land auch nicht. Hätte ich im Zweifelsfall den Aufenthaltsort eines Terroristen verraten? Ich weiß es nicht.

Diese Selbsttäuschung: Die erste Nachkriegsgeneration, die sich so sehr von der Nazigeneration absetzen wollte, hatte als Hauptfeind neben den USA schon wieder Israel im Auge. Wie ähnlich sie sich waren! Die faschistische Wahnvorstellung von der jüdischen Weltverschwörung hat die RAF durch den Wahn ersetzt, gegen einen faschistischen Staat zu kämpfen. Wäre er es gewesen, die RAF-Gefangenen wären ohne viel Aufhebens im Meer versenkt worden. So wie argentinische oder chilenische Oppositionelle.

Nach dem Film Gespräche: Eine junge Frau kann nicht glauben, dass bei den Protesten gegen den Schah persische Agenten unter den Augen der deutschen Polizei auf Demonstranten einprügeln durften. Und dass diese Polizei dann die Demonstranten mit Pferden gejagt und niedergeknüppelt hat. Dieses Land ist zivilisierter geworden dank 68.

Abstimmen ja – Unterschrift nein

Heute beim St. Pauli-Spiel in Hamburg waren sie wieder unterwegs, die fleißigen Sammler für die Volksinitiative „Eine Schule für Alle“.

Ich werde nicht unterschreiben.

Ich weiß zu wenig über das Thema. Ich kann nicht sagen, was ich für richtig halte. Ich habe in einem getrennten Schulsystem gelernt und es war in Ordnung. Aber vielleicht ist eine Gesamtschule doch besser?

Ich will die Abstimmung. Weil ich grundsätzlich für mehr Volksabstimmungen bin. Eine intensive Diskussion klärt die Positionen.

Warum ich trotzdem nicht unterschreibe?

Formal sage ich mit einer Unterschrift für die Initiative nur, dass ich für eine Volksabstimmung bin. Ob ich mit Ja oder Nein stimme, sage ich damit nicht.

Aber es gibt noch so etwas wie Öffentlichkeitsarbeit. Die Propagandisten der Initiative werden jede Unterschrift für die Durchführung der Volksabstimmung als eine Unterschrift für die Einheitsschule ausgeben.

Und das wäre meine Unterschrift nicht. Deshalb unterschreibe ich nicht.

Es gibt doch noch Gründe

Manchmal weiß ich aber doch, warum ich noch in dieser Partei bin:

Seit ihrer Gründung vor fast 145 Jahren hat sich die Sozialdemokratische Partei für die elementaren Grundsätze von Demokratie und Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingesetzt. Diese Grundsätze ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der frühen Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie.

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind für ihre Werte eingetreten – mutig, voller Überzeugung, aus tiefer Leidenschaft. Sozialdemokraten haben für diese Werte gelitten. Sie sind verfolgt, kriminalisiert, verhaftet, eingesperrt, gefoltert und ermordet worden. Und doch haben Sozialdemokraten auch unter massivem Druck niemals ihre Vision einer wahren demokratischen Gesellschaft, niemals ihr Streben nach sozialer Gerechtigkeit aufgegeben.

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben weder ihre Vision noch ihr Vaterland verraten – im Gegenteil. Als Deutschland 1918 nach der politischen und menschlichen Katastrophe des Ersten Weltkriegs in Trümmern lag, als der Kaiser geflohen war und Extremisten von rechts und links die Demokratie bekämpften, da gingen Sozialdemokraten in die Verantwortung. Mit aller Kraft stützten sie die Weimarer Republik, stemmten sich gegen ihre Feinde – und mussten zusehen, wie ihre Kräfte nicht reichten. Gegen Nationalisten und Monarchisten, gegen die tägliche Verleumdung des Parlamentarismus und gegen die Perspektivlosigkeit der jungen Generation stand die Sozialdemokratie auf verlorenem Posten. Und das Heil, das viel zu viele in der rassistischen Ideologie der Nazis, in Gleichschaltung und Gleichschritt suchte, führte geradewegs in den Wahnsinn des nächsten Krieges und in den Zivilisationsbruch des Holocaust.

Tiefer als 1945 konnten ein Land und sein Volk kaum fallen – moralisch, menschlich und politisch. Und doch gab es einen wichtigen Unterschied: Die Sozialdemokraten fühlten sich, anders als viele andere Deutsche, befreit, nicht besiegt.

Aus einer Rede von Frank-Walter Steinmeier vor der Historischen Kommission der SPD (Text hier, Videoaufzeichnung bei SPDVision).

Gespalten

Aus einem Interview mit Ottmar Schreiner und Karl Lauterbach in der Frankfurter Rundschau:

Herr Schreiner, Herr Lauterbach, lassen Sie uns mit einer Assoziationskette beginnen. Was verbinden Sie mit der Agenda 2010?

Ottmar Schreiner: Eine Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung: mehr Lohnarmut. Mehr Kinderarmut. Mehr Altersarmut.

Karl Lauterbach: Mehr Arbeitsplätze. Bessere Bildungschancen für Kinder.

Es ist nicht immer ganz so einfach mit meiner Partei: In welcher bin ich jetzt Mitglied?

Katholiban oder: Wie ich zum Terrorsympathisanten wurde

Gäbe es den Spiegel nicht, ich hätte es gar nicht bemerkt: Scipio ist ein „Katholiban“. Und er versendet mit seinen Bloggerfreunden gefährliche Pakete. Stehe ich jetzt auf der Liste der Terrorbekämpfer als gefährlicher Sympathisant, weil ich ihn schon lange verlinke?

Als der evangelische Pfarrer Clemens Bittlinger aus Darmstadt in der vergangenen Woche ein schmales Päckchen erhielt, übergab er es ungeöffnet den Spezialisten des Hessischen Landeskriminalamts. Behutsam nahmen sie die Sendung unter die Lupe, suchten nach Sprengstoff oder einer anderen Substanz, die dem Liedermacher und Mann Gottes gefährlich werden könnte, doch am Ende fanden sie nichts.

(Spiegel, 38/2008, Seite 66, online eine Kurzfassung)

Drin war dann nur die Kurzfassung des Katechismus der Katholischen Kirche.

Dazu sucht der Praktikant dann schnell noch ein paar Zitate von Forentrollen und fertig ist die Bedrohung aus dem Internet.

Mit der SPD hat es der Spiegel neulich genauso gemacht. Die SPD zerfleischte sich laut Spiegel im Netz.

Kleiner Tipp: Im Heise-Forum findet sich auch so mancher übler Aufruf gegen so manchen IT-Prominenten und Politiker. Da lassen sich noch viele Geschichten schreiben!

1:30 galten früher als zu kurz

Früher (ja, ich weiß, Opa erzählt mal wieder vom Krieg ;-), vor dem Internet, war das Fernsehen der Lieblingsfeind der sogenannten Medienkritiker.

Lieblingsobjekte der Kritik waren nur 1:30 (in Worten: eine Minute und dreißig Sekunden) lange Berichte in Tagesschau und Heute. „Viel zu kurz!“, klagten Medienkritiker, „da bleibt keine Zeit, um ein Thema ausführlich zu erörtern.“

Heute beklagen sich die Ersten, dass der Spiegel keinen Twitterstream hat. Und medienlese.com hat die erste „Hitliste“ von Twitterstreams deutscher Medien erstellt. Zur Erinnerung: Eine Nachricht bei Twitter hat maximal 140 Zeichen.

Wie sich die Zeiten ändern.